Mittwoch, 23. Juli 2008

Hirnwichsen für Fortgeschrittene

Einsamkeit… Eines jener Wörter, das für die Meisten von uns einen sehr unangenehmen Beigeschmack hat – außer, man zählt zur Kategorie Einsiedler oder Menschenfeind und zieht die Gesellschaft einer Topfpflanze jeder menschlichen Gesellschaft vor. Nun, mit Einsiedlerei hab ich recht wenig am Hut, ebenso wenig mit Menschenhass – ich genieße die Gesellschaft von Menschen und habe sie auch gerne um mich. Ich habe aber auch bis dato nie ein Problem damit gehabt, wenn ich mal keinen Menschen um mich herum hatte. Einfach, weil ich auch für mich selbst immer ein guter Alleinunterhalter war, ich mich gut alleine beschäftigen konnte und Langeweile oder Einsamkeit für mich absolute Fremdworte waren. Und doch ist mein Leben seit einigen Wochen diesbezüglich anders…

Was hat sich eigentlich so sehr geändert? Früher war ich ein, zwei Tage in der Woche unterwegs und bin nur zum Schlafen nachhause gekommen, die übrige Woche war ich sehr zufrieden damit, dass ich abends daheim meine Ruhe hatte und keinen Menschen gesehen habe. Mir war auch nie langweilig, ich habe an der Kolumne gebastelt, im Internet gesurft, mit Freunden gechattet oder einfach nur ferngesehen. Ich war allein und habe das Alleinsein genossen – und habe mich dabei in meiner Haut pudelwohl gefühlt. Einsamkeit? Was ist das?

Und jetzt? Jetzt bin ich ein, zwei Abende in der Woche bei meinem Liebsten. Und ich genieße die Zeit, die ich mit ihm verbringe, genieße es, mit ihm zu philosophieren, mit ihm zu lachen, ihn zu berühren und ihn zu küssen. Zusätzlich bin ich ein, zwei Abende in der Woche mit Freunden unterwegs und schaffe es, Schlafdefizite von geradezu biblischen Ausmaßen aufzubauen. Somit sollte ich für jeden freien Abend, den ich alleine zuhause verbringen darf, unendlich dankbar sein. Zumindest sagt mir das mein Verstand – und ich bin doch so ein ausgeprägter Kopfmensch…

Genau betrachtet verbringe ich jetzt sogar deutlich weniger Zeit alleine zuhause als noch vor zwei Monaten. Und ich habe sogar noch einen Menschen mehr um mich, der mein Leben um Facetten bereichert, die es vorher nicht hatte. Eigentlich sollte ich der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt sein – Freunde, Familie und noch zusätzlich einen Liebsten, der Aufregung in meinen Alltag bringt. Meine Woche hat viel zu wenige Stunden, um all das unterzubringen, was ich gerne erledigen würde. Und doch…

Die Qualität meiner „freien Abende“ hat sich grundlegend geändert. Denn wenn ich jetzt alleine zuhause bin, spüre ich, dass mein Liebster nicht bei mir ist. Ich ertappe mich, dass es mir fehlt, die Dinge, die mir so tagsüber im Büro oder mit meinen Freunden passiert sind, mit ihm zu teilen. Dass ich es vermisse, dass er mir von seinem Tag erzählt, was ihn bereichert hat und worauf er hätte verzichten können. Dass ich dieses Problem, das mich so sehr quält, unbedingt mit ihm besprechen möchte, weil ich seine Sichtweise dazu kennen lernen will – dass der fehlende Gedankenaustausch eine große Lücke in mir hinterlässt. Dass ich – wenn er nicht bei mir ist – mich einsam fühle…

Ich habe in den letzten Wochen die Erfahrung gemacht, dass die Einsamkeit ein beschissener Gesellschafter ist. Hauptsächlich deshalb, weil dieses Miststück nie alleine kommt (eigentlich eine interessante Feststellung: die Einsamkeit kommt immer in Begleitung – woran das wohl liegen mag?), mit der Einsamkeit alleine käme frau ja sicher noch zurande, aber sie hat so zweifelhafte Gesellen wie den Selbstzweifel, die Unsicherheit und die Eifersucht im Schlepptau – und mit den vier Typen saufen zu gehen macht wahrlich keine Freude…

Und anstatt, dass ich etwas Sinnvolles tue, wenn ich alleine zuhause bin, wie mich erholen, die Erlebnisse mit meinen Freunden Revue passieren zu lassen oder mich einfach auf das nächste Treffen mit meinem Liebsten zu freuen, sitze ich wie ein Häufchen Elend am Sofa und quäle mich mit all den unsinnigen Fragen, die mich keinen Millimeter weiter bringen. Auf einen Schlag sind mein Selbstbewusstsein, mein Humor und mein Verstand meilenweit von mir entfernt und ich zermartere mir das Hirn über Probleme wie „warum will er nicht mehr Zeit mit mir verbringen“, „wieso bin ich ihm nicht wichtig genug, dass er seinen starren Wochenplan mir zuliebe ab und zu aufbricht“ und garniere diesen Irrsinn dann auch noch mit „eigentlich fühle ich mich, als ob ich ein Lückenbüßer für ihn bin, wenn er grad nichts besseres zu tun hat“. Und der Gipfel der Hirnwichserei ist endlich, endlich erreicht, wenn meine Unvernunft dann den beliebten sinnfreien Gedanken zulässt „bedeute ich ihm denn wirklich etwas, oder bin ich in Wahrheit doch nur ein Fickfroscherl für ihn“. Dann habe ich es erfolgreich geschafft, dass ich mich endlich ordentlich schlecht fühle… dann kann ich mich ausgiebig in meiner Destruktivität suhlen.

Glücklicherweise habe ich aber auch einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb, der mir dann einen kräftigen Tritt in den Hintern verpasst, mich an den Ohren zieht und mir eine Standpauke hält. Ich habe schließlich von Anfang an gewusst, dass er nicht viel Zeit hat. Ich weiß, dass er sich nicht nur körperlich von mir angezogen fühlt, sondern dass er auch Intellekt und Humor zu schätzen weiß – dass es für ihn das „Gesamtpaket Julia“ ist. Und ich schätze seine Ehrlichkeit mir gegenüber. Außerdem spüre ich ja, wie gut er mir tut und wie sehr er mein Leben bereichert – und das merke nicht nur ich, auch meine Freunde sagen mir oft, dass ich in letzter Zeit wieder viel ausgeglichener bin und dass ich neuerdings dieses Funkeln in den Augen habe, das man schon lange Zeit nicht mehr an mir gesehen hat.

Und dennoch… obwohl ich die meiste Zeit des Tages weiß, wie viel er mir bedeutet und in dieser Zeit auch spüre, dass es auch umgekehrt so ist, trotz allem schaffe ich es in kurzen, schwachen Momenten, dass ich mich von dem Menschen, den ich schätze, liebe und achte, in ein hilfloses Weibchen verwandle, das bereit ist, sich auf Gedeih und Verderb emotional an einen einzigen Menschen zu ketten, das sich selbst nur noch daran misst, wie viel Zeit der Liebste mit ihm verbringt. Und diese Erkenntnis bereitet mir im Augenblick ziemliche Sorgen…

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