Samstag, 29. August 2009

Reflexionen

Schon Oscar Wilde wusste es: Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze. So simpel die Aussage, so schwierig deren Umsetzung…

Wenn man nun auf dieses Thema angesprochen wird, antwortet jeder im Reflex „jaja, natürlich liebe ich mich, und ich passe auf mich auf und ich schaue, dass ich Dinge tue, die mir gut tun“. Meistens kommt diese Antwort wie aus der Pistole geschossen, haben wir doch gelernt, dass diese Antwort in der Regel die „richtige Antwort“ ist. Jeder besorgte Freund, jeder Therapeut nickt kurz nach dem Satz. Und selbst ist man dankbar dafür, dass wir den Gegenüber wieder mal so gut täuschen konnten.

Es gibt allerdings fieserweise ein Gegenüber, das wir nicht täuschen können: unseren Partner. Fieserweise deshalb, weil dieser Mensch, der uns in- und auswendig kennt, der genau weiß, wie wir ticken, mit dem wir unser Leben teilen, im tiefsten Inneren genau spürt, dass wir da gerade dabei sind, eine Verantwortung auf ihm abzuladen, die in Wahrheit uns selbst gehört – nämlich „liebe du mich, damit ich es nicht für mich tun muss“.

Ein Satz, den mein Liebster mit Sicherheit schon tausendmal in unserer Beziehung gehört hat (teils ausgesprochen, teils unterschwellig mitschwingend), ist „ich möchte, dass ich in deinem Leben an der ersten Stelle stehe“. Vordergründig ist dieser Satz ja nichts Böses: ich möchte für dich wichtiger sein als dein Job. Ich möchte für dich wichtiger sein als deine Freunde. Ich möchte das Erste sein, woran du in der Früh denkst und das Letzte, bevor du Abends einschläfst. Das Fiese an diesem Satz ist aber: er tarnt sich hinter guten Absichten und Unausgesprochenem, denn wenn man den Satz vollständig ausspricht, käme heraus „ich möchte, dass ich in deinem Leben an der ersten Stelle stehe, weil ich mich in meinem Leben nicht an die erste Stelle reihe“. Autsch…

Wie reagiert unser Partner auf diesen unausgesprochenen, zweiten Satzteil? Nun ja… Sofern der Lebenspartner nicht emotional abgestumpft ist wie ein Brotlaib, wird die Feststellung kommen „da hat jemand Erwartungen an mich… Erwartungen, die so übermächtig sind, dass ich das Gefühl habe, dass ich sie nicht erfüllen kann“. Leider (oder zum Glück, je nachdem) kann unser Partner allerdings weder unsere Gedanken lesen noch in uns hinein schauen. So ist der Partner in der Regel auf eine eigene Interpretation angewiesen. ‚Sie will was von mir, was könnte das sein?’.

Es gibt wohl eine Vorstellung über Frauen, die sich in der Männerwelt hartnäckig gehalten hat – und zwar, dass die arme Maid vom strahlenden Ritter in schimmernder Rüstung auf weißem Ross aus dem hohen Turm befreit wird, und sie reiten in immerwährender Liebe in den Sonnenuntergang. Und wenn sie nicht gestorben sind… Könnte irgendjemand mal diesen verdammten Gebrüdern Grimm erklären, dass ihre Märchen der frühkindliche Ursprung eines ausgewachsenen männlichen Fluchtverhaltens sind? Ja, natürlich gibt es Frauen, die vom Mann „gerettet“ werden wollen. Es gibt aber auch ebensolche Frauen, die das nicht wollen, weil sie sich in Sachen „Rettung“ nur auf sich selbst verlassen. Nicht jede Frau träumt vom Brillantring, von zwei Kindern, Haus und Hund. Und ja, es gibt Frauen, die ihrem Schatz in die Arme sinken und hauchen „danke dafür, dass du mich so glücklich machst“. Andere Frauen hingegen drohen alleine bei diesem Satz in Ohnmacht zu fallen und verfluchen ihre Geschlechtsgenossinnen für jede einzelne Silbe.

Das Alles weiß unser Partner allerdings nicht. Oder… vielleicht haben wir es ja mal gesagt, dass es so ist, aber wir wissen ja alle… Lippenbekenntnisse… So ist unser Partner also damit konfrontiert „da is’ was…“. Was, weiß er aber nicht. Nachfragen bringt nix, weil man da wieder das gewohnte Lippenbekenntnis zur Antwort bekommt. Und so ist er wieder auf Vermutungen angewiesen. Die Krux mit Vermutungen ist, dass man nicht immer das Naheliegendste als Erklärung wählt, sondern in der Regel das, wovon man selbst am meisten Angst hat. Und so wird zB ein Mensch mit einem ausgeprägten Freiheitsbedürfnis annehmen „sie möchte einen Ehering, Kinder, ein Einfamilienhaus im Grünen, einen Hund“. … und spürt dabei zwei Gefühle in sich aufsteigen: ein sich ausbreitendes Unwohlsein, weil mann ja eine andere Vorstellung von der Zukunft hatte und ein Gefühl des Versagens „so etwas kann ich ihr nie geben – ich bin also der Falsche für sie, sie vergeudet ihre Zeit mit mir“.

So kommt es zu den beliebten zwischenmenschlichen Missverständnissen, zu Beziehungsproblemen, Streit… und manchmal auch zu Trennungen. Trennungen, weil man aneinander vorbei geredet hat. Weil man trotz aller Kommunikationstrainings, die man im Laufe seines Lebens absolviert hat, immer noch nicht die Sprache des Anderen spricht. Weil man in der Beziehungskommunikation versagt hat.

Zu Beziehungen gehören immer zwei Menschen – wenn sie gelingen ebenso wie wenn sie scheitern. Gute Beziehungen sind meistens die, wo beide Partner so selbstreflektiert sind, dass sie – wenn am Horizont ein Thema auftaucht – sofort sagen können „das ist mein Thema“ oder „das ist sein Thema“. Und die dem Partner als Spiegel dienen, wenn er sein eigenes Thema nicht erkennt und ihn so in die Reflexion zwingen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, so selbstreflektiert bin ich noch nicht. Ich habe zwar in den vergangenen Jahren sehr dazu gelernt, aber ich neige immer noch dazu, meinem Partner die Verantwortung für „meine Themen“ umzuhängen. Und verschließe meine Augen davor, dass er sie a) für mich nicht lösen kann und b) es auch gar nicht seine Aufgabe ist, meine Themen für mich zu lösen.

Mein aktuellstes Thema ist eben, dass ich mich selbst nicht an erste Stelle reihe. Alles andere ist wichtiger: die Familie, der Partner, sogar der Übungspartner im NLP-Seminar, dem ich sein Setting nicht versauen möchte. Ich weiß sogar, woher mein Thema kommt: ich hab es jahrzehntelang so gelernt. Meine Mutter, die Aufopferung in Person, hat mir immer beigebracht, dass man selbst an allerletzter Stelle zu stehen hat, und dass vorher auf alle anderen geachtet werden muss. Und ich habe es sogar geschafft, mir mein Thema positiv zu reframen: ich bin eben sehr fürsorglich und warmherzig. Ich achte auf meine Mitmenschen. … das Problem dabei ist, dass ich mich selbst dabei nicht achte…

Der Volksmund sagt so schön „Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“. Die Erkenntnis ist da. Wie ich das Problem für mich selbst lösen kann, weiß ich noch nicht. Wenn jemand einen Workshop empfehlen kann, wie man Selbstachtung lernt, nur her damit! Solange kann ich nur mein Wort anbieten: „ja, ich habe mein Thema gesehen. Und ja, ich verspreche, dass ich an meinem Thema arbeiten werde.“ – weil ich weiß, dass es für eine Beziehung zwei „ich’s“ benötigt, die so fest in sich ruhen, damit genug Stabilität für ein „wir“ da ist…

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