Feindbilder
Ich glaube, meine Eltern haben bei mir ganz gute Arbeit geleistet, was die Erziehung angeht. Ich kann „bitte“ und „danke“ sagen, bin höflich, freundlich und sogar stubenrein. Zwei Sätze haben meine Kindheit immer besonders geprägt „wie man in den Wald hinein ruft, so kommt’s zurück“ und „was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andren zu“. Und ich versuche, mich an diese Sätze zu halten – ich bin im ersten Schritt zu den Leuten immer nett und freundlich und teile auch nie mehr aus, als ich selbst einzustecken bereit bin. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass ich das gleiche Verhalten dann von meinen Mitmenschen mir gegenüber erwarte. Und wenn man mir nicht dieselbe Freundlichkeit erweist, die ich den Menschen entgegenbringe, dann kann ich mich darüber sehr echauffieren…
Hurra, wir sind übersiedelt! In ein schönes Gebäude, und für mich verkehrsgünstigst gelegen. Zusätzlich arbeiten in unserem Nachbarunternehmen zwei liebe Freunde von mir, und mein Unternehmen darf die Kantine mitbenützen. Ich freue mich schon die ganze Zeit auf die Übersiedlung, sehe ich doch meine Freunde häufiger.
Tag 1
Wir packen im Büro mühsam alle Kisten aus, schlichten alles mögliche Klumpert von links nach rechts und wieder zurück und zittern, ob wohl alle Pflanzen die Übersiedlung heil überstanden haben. Da unsere Kaffeemaschine den Weg noch nicht zu uns gefunden hat, beschließen meine Kollegen und ich, die Nachbarskantine auszuprobieren. Also schnappen wir uns Dienstausweis und Essensberechtigungskarte und machen uns gut gelaunt auf den Weg ins Nebengebäude. Wir marschieren in das Gebäude hinein, grüßen fröhlich und halten dem Portier beide Karten entgegen. Rasch werden wir gestoppt. Und bekommen einen dreiminütigen Vortrag darüber gehalten, auf welche Art und Weise Dienstausweis und Essensberechtigungskarte vorgezeigt werden müssen, damit wir passieren dürfen – in einem Tonfall, als ob der Portier in seinem früheren Leben Gefängnisaufseher in Ostsibirien gewesen wäre… Abgesehen davon: aus über einem Meter Entfernung sieht das Bild auf meinem Dienstausweis nur noch wie ein heller Fleck auf hellem Hintergrund aus, der Portier kann mir unmöglich erklären, dass er mich auf diese Entfernung auf dem Foto erkennt.
Die Laune wird uns durch diese Aktion natürlich gründlich getrübt und dementsprechend nörgelig sind wir, als wir endlich in der Kantine ankommen und das Essen probieren. Wehmütig stochern wir auf unseren Tellern herum und jammern, wie sehr wir doch unsere „alte“ Kantine vermissen und die lieben Leute, die wir im alten Gebäude zurückgelassen haben.
Tag 2
Von den Ereignissen des Vortages doch etwas gebrandmarkt, sind wir schon nicht mehr ganz so euphorisch, als wir zum Mittagstisch trotten. Aber vielleicht hatten wir auch nur einen schwierigen Start. Wir schmettern dem Portier ein freundliches „Grüß Gott“ über die Budl und werden wieder von dem Typen niedergeblafft. Mein Kollege meint „irgendwann kochen wir ihn schon weich, dann muss er einfach nett zu uns sein“. Ich erwidere lediglich resigniert „ich will mich mit diesem Menschen nicht mehr beschäftigen, als ich eigentlich muss“ – die Lust aufs Essen ist mir wieder gründlich vergangen.
Tag 3
Naja, Essen muss schließlich sein. Also brechen wir mit einem gewissen Unbehagen Richtung Kantine auf. Beim Eingang ein Hochgefühl – hurra, es ist ein anderer Portier als an den beiden Vortagen! Das kann ja dann nur besser werden! Brav halten dem anderen Portier alle Karten unter die Nase – vorschriftsgemäß, so wie wir es ja gelernt haben. Der Portier sieht uns an, hebt eine Augenbraue hoch und blafft „sie haben Zutrittsberechtigung bis 13:30 Uhr, jetzt ist es 13:31 Uhr, ich lasse sie heute ausnahmsweise noch einmal durch…“. Ich bringe nur ein „wie bitte?“ hervor. Der Kollege ist ebenso penibel wie unhöflich „ich hab das hier schriftlich“. Jaja, das glauben wir ihnen schon. Müssen wir jetzt jedes Mal eine Uhrenkontrolle machen, bevor wir unser Office verlassen? Zum Überfluss sind in der Kantine dann die Schnitzerl schon mehr als nur knusprig, die Stimmung ist im Keller, die Kollegen beschließen, dass sie nur noch sehr eingeschränkt „zum Feind“ essen gehen werden und ich bin quengelig. Und tröste mich mit dem Gedanken, dass es nun ja wohl nicht mehr schlimmer kommen kann…
Tag 4
… und sehet, es kam schlimmer… Ich vereinbare mit meiner Freundin Marlene, die im Nachbargebäude arbeitet, dass wir gemeinsam Mittag essen gehen. Als Treffpunkt schlägt sie den Parkplatz zwischen unseren beiden Gebäuden vor. Also schnappe ich mir kurz vor Mittag Dienstausweis und Essensberechtigungskarte (allein bei dem Wort vergeht mir der Appetit), trotte Richtung Nebengebäude und biege vor dem Eingang zum Parkplatz hin ab.
Auf einmal höre ich hinter mir ein herzhaft gebrülltes „halt, wohin des Weges?“. Ich bremse mich ein (überlege kurz, ob ich wohl die Hände über den Kopf heben soll), drehe mich um und sehe, dass mir der Portier vom Vortag hinterher sprintet. Puh, hab ich ein Massel, dass der private Wachdienst unbewaffnet ist – der Gesichtsausdruck jagt mir nämlich eine ziemliche Angst ein. Ich schau den Portier an wie die berühmte Kuh das noch berühmtere Scheunentor und stammle ein „ich treffe mich hier mit einer Mitarbeiterin ihres Hauses“. Ja, das kann ich gern auf der Straße machen, das hier ist Privatgrund und ich soll schleunigst schauen, dass ich von dort wegkomme.
Ich bin ob des rüden Umganges doch etwas verwundert, hab ich dem Portier doch nichts getan, im Gegenteil: ich bin immer nett und höflich und verstehe gar nicht, warum dieser Kerl, der mich in seinem Leben noch nie gesehen hat, so unglaublich garstig zu mir ist. Schaue ich so verdächtig aus? Oder schau ich aus wie seine Exfrau, die ihn bei der Scheidung so sehr abgezockt hat, dass er nun nicht mehr von den Erträgen seiner Privatstiftungen leben kann, sondern darauf angewiesen ist, seinen Lebensunterhalt als Portier zu bestreiten? Oder hat er schlichtweg „nur“ ein Problem mit Menschen an sich – aber wenn das der Fall ist, warum hat er dann einen Beruf gewählt, wo er permanent mit Menschen in Kontakt kommt, soll er sich doch einen Job in einem gemütlichen Lager suchen, wo er den ganzen Tag über niemanden sieht…
Irgendwie trau ich mich jetzt nicht mehr sagen „die Aktion von heute kann unmöglich getoppt werden“, denn ich fürchte, die Portiertruppe des Nebengebäudes sieht es als Herausforderung an, die Aktionen vom Vortag noch zu übertrumpfen. In dem Sinne erwarte ich demütig, was wohl Tag 5 für mich bringen wird…
Hurra, wir sind übersiedelt! In ein schönes Gebäude, und für mich verkehrsgünstigst gelegen. Zusätzlich arbeiten in unserem Nachbarunternehmen zwei liebe Freunde von mir, und mein Unternehmen darf die Kantine mitbenützen. Ich freue mich schon die ganze Zeit auf die Übersiedlung, sehe ich doch meine Freunde häufiger.
Tag 1
Wir packen im Büro mühsam alle Kisten aus, schlichten alles mögliche Klumpert von links nach rechts und wieder zurück und zittern, ob wohl alle Pflanzen die Übersiedlung heil überstanden haben. Da unsere Kaffeemaschine den Weg noch nicht zu uns gefunden hat, beschließen meine Kollegen und ich, die Nachbarskantine auszuprobieren. Also schnappen wir uns Dienstausweis und Essensberechtigungskarte und machen uns gut gelaunt auf den Weg ins Nebengebäude. Wir marschieren in das Gebäude hinein, grüßen fröhlich und halten dem Portier beide Karten entgegen. Rasch werden wir gestoppt. Und bekommen einen dreiminütigen Vortrag darüber gehalten, auf welche Art und Weise Dienstausweis und Essensberechtigungskarte vorgezeigt werden müssen, damit wir passieren dürfen – in einem Tonfall, als ob der Portier in seinem früheren Leben Gefängnisaufseher in Ostsibirien gewesen wäre… Abgesehen davon: aus über einem Meter Entfernung sieht das Bild auf meinem Dienstausweis nur noch wie ein heller Fleck auf hellem Hintergrund aus, der Portier kann mir unmöglich erklären, dass er mich auf diese Entfernung auf dem Foto erkennt.
Die Laune wird uns durch diese Aktion natürlich gründlich getrübt und dementsprechend nörgelig sind wir, als wir endlich in der Kantine ankommen und das Essen probieren. Wehmütig stochern wir auf unseren Tellern herum und jammern, wie sehr wir doch unsere „alte“ Kantine vermissen und die lieben Leute, die wir im alten Gebäude zurückgelassen haben.
Tag 2
Von den Ereignissen des Vortages doch etwas gebrandmarkt, sind wir schon nicht mehr ganz so euphorisch, als wir zum Mittagstisch trotten. Aber vielleicht hatten wir auch nur einen schwierigen Start. Wir schmettern dem Portier ein freundliches „Grüß Gott“ über die Budl und werden wieder von dem Typen niedergeblafft. Mein Kollege meint „irgendwann kochen wir ihn schon weich, dann muss er einfach nett zu uns sein“. Ich erwidere lediglich resigniert „ich will mich mit diesem Menschen nicht mehr beschäftigen, als ich eigentlich muss“ – die Lust aufs Essen ist mir wieder gründlich vergangen.
Tag 3
Naja, Essen muss schließlich sein. Also brechen wir mit einem gewissen Unbehagen Richtung Kantine auf. Beim Eingang ein Hochgefühl – hurra, es ist ein anderer Portier als an den beiden Vortagen! Das kann ja dann nur besser werden! Brav halten dem anderen Portier alle Karten unter die Nase – vorschriftsgemäß, so wie wir es ja gelernt haben. Der Portier sieht uns an, hebt eine Augenbraue hoch und blafft „sie haben Zutrittsberechtigung bis 13:30 Uhr, jetzt ist es 13:31 Uhr, ich lasse sie heute ausnahmsweise noch einmal durch…“. Ich bringe nur ein „wie bitte?“ hervor. Der Kollege ist ebenso penibel wie unhöflich „ich hab das hier schriftlich“. Jaja, das glauben wir ihnen schon. Müssen wir jetzt jedes Mal eine Uhrenkontrolle machen, bevor wir unser Office verlassen? Zum Überfluss sind in der Kantine dann die Schnitzerl schon mehr als nur knusprig, die Stimmung ist im Keller, die Kollegen beschließen, dass sie nur noch sehr eingeschränkt „zum Feind“ essen gehen werden und ich bin quengelig. Und tröste mich mit dem Gedanken, dass es nun ja wohl nicht mehr schlimmer kommen kann…
Tag 4
… und sehet, es kam schlimmer… Ich vereinbare mit meiner Freundin Marlene, die im Nachbargebäude arbeitet, dass wir gemeinsam Mittag essen gehen. Als Treffpunkt schlägt sie den Parkplatz zwischen unseren beiden Gebäuden vor. Also schnappe ich mir kurz vor Mittag Dienstausweis und Essensberechtigungskarte (allein bei dem Wort vergeht mir der Appetit), trotte Richtung Nebengebäude und biege vor dem Eingang zum Parkplatz hin ab.
Auf einmal höre ich hinter mir ein herzhaft gebrülltes „halt, wohin des Weges?“. Ich bremse mich ein (überlege kurz, ob ich wohl die Hände über den Kopf heben soll), drehe mich um und sehe, dass mir der Portier vom Vortag hinterher sprintet. Puh, hab ich ein Massel, dass der private Wachdienst unbewaffnet ist – der Gesichtsausdruck jagt mir nämlich eine ziemliche Angst ein. Ich schau den Portier an wie die berühmte Kuh das noch berühmtere Scheunentor und stammle ein „ich treffe mich hier mit einer Mitarbeiterin ihres Hauses“. Ja, das kann ich gern auf der Straße machen, das hier ist Privatgrund und ich soll schleunigst schauen, dass ich von dort wegkomme.
Ich bin ob des rüden Umganges doch etwas verwundert, hab ich dem Portier doch nichts getan, im Gegenteil: ich bin immer nett und höflich und verstehe gar nicht, warum dieser Kerl, der mich in seinem Leben noch nie gesehen hat, so unglaublich garstig zu mir ist. Schaue ich so verdächtig aus? Oder schau ich aus wie seine Exfrau, die ihn bei der Scheidung so sehr abgezockt hat, dass er nun nicht mehr von den Erträgen seiner Privatstiftungen leben kann, sondern darauf angewiesen ist, seinen Lebensunterhalt als Portier zu bestreiten? Oder hat er schlichtweg „nur“ ein Problem mit Menschen an sich – aber wenn das der Fall ist, warum hat er dann einen Beruf gewählt, wo er permanent mit Menschen in Kontakt kommt, soll er sich doch einen Job in einem gemütlichen Lager suchen, wo er den ganzen Tag über niemanden sieht…
Irgendwie trau ich mich jetzt nicht mehr sagen „die Aktion von heute kann unmöglich getoppt werden“, denn ich fürchte, die Portiertruppe des Nebengebäudes sieht es als Herausforderung an, die Aktionen vom Vortag noch zu übertrumpfen. In dem Sinne erwarte ich demütig, was wohl Tag 5 für mich bringen wird…
drewshine - 4. Okt, 22:07