Wiener Blut
Wien ist … anders. Das ist Allgemeinwissen, und man kann es sogar bei jeder Stadteinfahrt in großen Lettern lesen. Ja, wir haben Stephansdom und Riesenrad, Lippizaner und Sängerknaben, der Wiener neigt zum Granteln und Matschgern, außer, er hat genügend Wein vom Heurigen intus – dann wird ihm oft ein „goldenes Wienerherz“ unterstellt. Aber wie „anders“ ist Wien wirklich?
Im ORF gab es die Kultsendung „Alltagsg’schichten“ von Elisabeth T. Spira. Ich schreibe deshalb „gab“, weil ich mir nicht sicher bin, ob dieses Unikat die Programmreform von Herrn Wrabetz überlebt hat. Einmal pro Monat saß man vor dem Bildschirm, hat sich über die Typen schief gelacht, die Frau Spira da aufgetrieben hat und hat sich königlich über alle Klischees amüsiert, die da am laufenden Band gedroschen wurden. Ich hab mir immer die Frage gestellt „wo treibt sie nur diese Gestalten auf?“ und bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass der ORF mit Sicherheit ein Casting veranstaltet – ich weigerte mich zu glauben, dass Wien wirklich so „anders“ ist.
Mittlerweilen weiß ich, dass Frau Spira lediglich mit sehr offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht und einfach alle einsammelt, die da so ihren Weg kreuzen. Es ist unglaublich, was einem in dieser Stadt alles passieren kann…
Eines Abends beschließen meine Freundin Caro und ich, dass wir den Wiener Kinos wieder etwas Gutes tun müssen – in Zeiten von Raubkopien und Internetdownload muss der Film wieder unterstützt werden, und wir tun das, indem wir zwei ziemlich happige Eintrittskarten im Village in Wien-Landstraße für den Film „Die Fälscher“ kaufen. Meine Freundin Caro hat beim Kino-gehen eine Eigenheit – sie will immer am Rand sitzen. Sie selbst begründet ihren Wunsch damit, dass in jedem von uns ein kleiner Monk steckt und dass sie einfach nur einen Wahnsinnigen (damit sind in der Regel wir anderen Mädels gemeint) neben sich sitzen haben möchte. Auftragsgemäß reserviere ich also online zwei Randkarten, wobei ich mich noch über den etwas eigenartig aussehenden Sitzplan wundere – es fehlen teilweise Plätze. Aber ich denke mir nichts dabei und clicke einfach in der letzten Reihe die beiden Randplätze an.
Als wir den großen Premierensaal betreten, stellen wir fest „es sind keine Randplätze, sie liegen zwei Plätze daneben“. Caro wirft mir böse Blicke zu. Ich versuche sie zu beschwichtigen „na ja, vielleicht wurden die Plätze ohnehin nicht verkauft. Oder vielleicht können wir ja später tauschen“. Und einige Zeitlang setzt sich wirklich niemand hin – ich beginne zu hoffen, dass sie frei bleiben. Leider wird meine Hoffnung recht rasch enttäuscht, und ein Austro-Afrikaner (mit sehr kurzer Hose und Damenhandtasche am Arm) fragt, ob er sich setzen kann. Wir erwidern „wenn sie eine Karte haben, können sie sich auf alle Fälle setzen“ – Caro funkelt mich wütend an und ich versuche, das Positive in dieser Situation zu entdecken „schau, der sitzt alleine – der eine Platz neben dir ist somit sicher nicht verkauft“. Einige Minuten später kommt eine ältere Dame und bittet den Austro-Afrikaner, sich wo anders hinzusetzen, da dies ihr Platz sei. Der Mann räumt mit einigen Entschuldigungen den Platz und setzt sich auf einen anderen Sitz. Caro und ich schauen uns an und denken uns „ok, der scheint offensichtlich keine Eintrittskarte für diesen Film zu haben“. Kurze Zeit später kommt die Begleitung der älteren Dame – nämlich ein älterer Herr – und gesellt sich zu seiner Frau. Caro funkelt mich immer noch wütend an, ich murmle ein leises „mea culpa“ und gelobe Besserung.
Nach einigen Minuten kommt eine andere Frau, die unseren Austro-Afrikaner von seinem Platz vertreiben möchte. Diesmal findet er jedoch, dass er ein Recht hat, auf diesem Platz zu sitzen und beschwert sich lauthals. Die Frau kommt zu uns und meint „können sie kurz auf meine Handtasche aufpassen, ich geh’ jemanden von der Security holen“. Warum nimmt sie ihre Handtasche nicht einfach mit? Naja, man muss nicht alles verstehen im Leben. Die Security erscheint und unter lautstarkem Protest wird der Austro-Afrikaner des Saales verwiesen.
Das Fiese an dem großen Premierensaal ist die Tatsache, dass er zwei Eingänge hat. Kaum, dass der Störenfried bei der einen Türe raus gegangen ist, kommt er schon wieder bei der anderen Türe herein und sucht sich ein Plätzchen. Und immer wieder kommt die Security und schmeißt ihn raus – immer sehr lautstark, und langsam verdichtet sich der Eindruck, als ob unser Freund auch geistig etwas beeinträchtigt ist. Der Film läuft schon einige Zeit, und die Security spielt weiterhin „Hasch mich“ mit dem Mann.
Einige Minuten später kommt ein Sprecher des Kinos in den Saal und baut sich mit den Worten „wir müssen den Film kurz anhalten, wir haben hier ein Problem“ vor dem Publikum auf. Der ältere Mann neben Caro macht seiner Empörung Luft „dann ruft’ doch einer endlich mal die Polizei!“. Der Kinosprecher entgegnet „ja, die Polizei ist schon im Haus und ist gerade dabei, die Amtshandlung zu vollziehen“. Woraufhin der alte Mann mit den Worten „das will ich sehen, das interessiert mich jetzt“ aufspringt, denn „der Störenfried ist sicher ein Neo-Nazi!“. Caro sieht mich an und ich sehe Caro an. Was ist unserem Sitznachbarn entgangen? Der Störenfried hat schwarze Hautfarbe, der ist mit Sicherheit alles, bloß kein Neo-Nazi… Seine Frau sieht uns an, meint „entschuldigen sie mich, ich muss schauen, was mein Mann macht“ und gesellt sich zu ihrem Ehegespons, der mittlerweile interessiert der Amtshandlung der Wiener Polizei beiwohnt. Ich frage mich, ob ich wohl im richtigen Film sitze. Caro schaut mich an und knurrt „jetzt weißt du, warum ich immer am Rand sitzen möchte…“. Ja, eh….
Nach einigen Minuten ist die Polizei mitsamt dem Störenfried wieder aus dem Saal verschwunden und der Film läuft wieder an. Unsere Sitznachbarn kommen auch wieder zurück und beginnen lautstark zu diskutieren, was sie gerade erlebt haben. Caro pfaucht lediglich „wenn sie das jetzt unbedingt diskutieren müssen, dann machen sie das gefälligst draußen – ich möchte diesen Film jetzt sehen!“ und das ältere Ehepaar hält endlich den Mund.
Ich grüble während des gesamten Filmes, was ich eigentlich absurder finde. Die Tatsache, dass sich ein geistig verwirrter Mann in ein Kino geschlichen hat und sich im letzten Winkerl einen Film ansehen wollte (wenn sie ihn dort sitzen hätten lassen, wäre alles sicher viel ruhiger abgelaufen)? Nein, ich stelle fest, dass mich das nicht erschüttern kann. Befremdlich finde ich lediglich die Sensationslust unserer Sitznachbarn, die offensichtlich darüber enttäuscht waren, dass der vermeintliche Neo-Nazi nicht aus dem Saal geprügelt worden ist. Goldenes Wienerherz? Dass ich nicht lache…
Im ORF gab es die Kultsendung „Alltagsg’schichten“ von Elisabeth T. Spira. Ich schreibe deshalb „gab“, weil ich mir nicht sicher bin, ob dieses Unikat die Programmreform von Herrn Wrabetz überlebt hat. Einmal pro Monat saß man vor dem Bildschirm, hat sich über die Typen schief gelacht, die Frau Spira da aufgetrieben hat und hat sich königlich über alle Klischees amüsiert, die da am laufenden Band gedroschen wurden. Ich hab mir immer die Frage gestellt „wo treibt sie nur diese Gestalten auf?“ und bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass der ORF mit Sicherheit ein Casting veranstaltet – ich weigerte mich zu glauben, dass Wien wirklich so „anders“ ist.
Mittlerweilen weiß ich, dass Frau Spira lediglich mit sehr offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht und einfach alle einsammelt, die da so ihren Weg kreuzen. Es ist unglaublich, was einem in dieser Stadt alles passieren kann…
Eines Abends beschließen meine Freundin Caro und ich, dass wir den Wiener Kinos wieder etwas Gutes tun müssen – in Zeiten von Raubkopien und Internetdownload muss der Film wieder unterstützt werden, und wir tun das, indem wir zwei ziemlich happige Eintrittskarten im Village in Wien-Landstraße für den Film „Die Fälscher“ kaufen. Meine Freundin Caro hat beim Kino-gehen eine Eigenheit – sie will immer am Rand sitzen. Sie selbst begründet ihren Wunsch damit, dass in jedem von uns ein kleiner Monk steckt und dass sie einfach nur einen Wahnsinnigen (damit sind in der Regel wir anderen Mädels gemeint) neben sich sitzen haben möchte. Auftragsgemäß reserviere ich also online zwei Randkarten, wobei ich mich noch über den etwas eigenartig aussehenden Sitzplan wundere – es fehlen teilweise Plätze. Aber ich denke mir nichts dabei und clicke einfach in der letzten Reihe die beiden Randplätze an.
Als wir den großen Premierensaal betreten, stellen wir fest „es sind keine Randplätze, sie liegen zwei Plätze daneben“. Caro wirft mir böse Blicke zu. Ich versuche sie zu beschwichtigen „na ja, vielleicht wurden die Plätze ohnehin nicht verkauft. Oder vielleicht können wir ja später tauschen“. Und einige Zeitlang setzt sich wirklich niemand hin – ich beginne zu hoffen, dass sie frei bleiben. Leider wird meine Hoffnung recht rasch enttäuscht, und ein Austro-Afrikaner (mit sehr kurzer Hose und Damenhandtasche am Arm) fragt, ob er sich setzen kann. Wir erwidern „wenn sie eine Karte haben, können sie sich auf alle Fälle setzen“ – Caro funkelt mich wütend an und ich versuche, das Positive in dieser Situation zu entdecken „schau, der sitzt alleine – der eine Platz neben dir ist somit sicher nicht verkauft“. Einige Minuten später kommt eine ältere Dame und bittet den Austro-Afrikaner, sich wo anders hinzusetzen, da dies ihr Platz sei. Der Mann räumt mit einigen Entschuldigungen den Platz und setzt sich auf einen anderen Sitz. Caro und ich schauen uns an und denken uns „ok, der scheint offensichtlich keine Eintrittskarte für diesen Film zu haben“. Kurze Zeit später kommt die Begleitung der älteren Dame – nämlich ein älterer Herr – und gesellt sich zu seiner Frau. Caro funkelt mich immer noch wütend an, ich murmle ein leises „mea culpa“ und gelobe Besserung.
Nach einigen Minuten kommt eine andere Frau, die unseren Austro-Afrikaner von seinem Platz vertreiben möchte. Diesmal findet er jedoch, dass er ein Recht hat, auf diesem Platz zu sitzen und beschwert sich lauthals. Die Frau kommt zu uns und meint „können sie kurz auf meine Handtasche aufpassen, ich geh’ jemanden von der Security holen“. Warum nimmt sie ihre Handtasche nicht einfach mit? Naja, man muss nicht alles verstehen im Leben. Die Security erscheint und unter lautstarkem Protest wird der Austro-Afrikaner des Saales verwiesen.
Das Fiese an dem großen Premierensaal ist die Tatsache, dass er zwei Eingänge hat. Kaum, dass der Störenfried bei der einen Türe raus gegangen ist, kommt er schon wieder bei der anderen Türe herein und sucht sich ein Plätzchen. Und immer wieder kommt die Security und schmeißt ihn raus – immer sehr lautstark, und langsam verdichtet sich der Eindruck, als ob unser Freund auch geistig etwas beeinträchtigt ist. Der Film läuft schon einige Zeit, und die Security spielt weiterhin „Hasch mich“ mit dem Mann.
Einige Minuten später kommt ein Sprecher des Kinos in den Saal und baut sich mit den Worten „wir müssen den Film kurz anhalten, wir haben hier ein Problem“ vor dem Publikum auf. Der ältere Mann neben Caro macht seiner Empörung Luft „dann ruft’ doch einer endlich mal die Polizei!“. Der Kinosprecher entgegnet „ja, die Polizei ist schon im Haus und ist gerade dabei, die Amtshandlung zu vollziehen“. Woraufhin der alte Mann mit den Worten „das will ich sehen, das interessiert mich jetzt“ aufspringt, denn „der Störenfried ist sicher ein Neo-Nazi!“. Caro sieht mich an und ich sehe Caro an. Was ist unserem Sitznachbarn entgangen? Der Störenfried hat schwarze Hautfarbe, der ist mit Sicherheit alles, bloß kein Neo-Nazi… Seine Frau sieht uns an, meint „entschuldigen sie mich, ich muss schauen, was mein Mann macht“ und gesellt sich zu ihrem Ehegespons, der mittlerweile interessiert der Amtshandlung der Wiener Polizei beiwohnt. Ich frage mich, ob ich wohl im richtigen Film sitze. Caro schaut mich an und knurrt „jetzt weißt du, warum ich immer am Rand sitzen möchte…“. Ja, eh….
Nach einigen Minuten ist die Polizei mitsamt dem Störenfried wieder aus dem Saal verschwunden und der Film läuft wieder an. Unsere Sitznachbarn kommen auch wieder zurück und beginnen lautstark zu diskutieren, was sie gerade erlebt haben. Caro pfaucht lediglich „wenn sie das jetzt unbedingt diskutieren müssen, dann machen sie das gefälligst draußen – ich möchte diesen Film jetzt sehen!“ und das ältere Ehepaar hält endlich den Mund.
Ich grüble während des gesamten Filmes, was ich eigentlich absurder finde. Die Tatsache, dass sich ein geistig verwirrter Mann in ein Kino geschlichen hat und sich im letzten Winkerl einen Film ansehen wollte (wenn sie ihn dort sitzen hätten lassen, wäre alles sicher viel ruhiger abgelaufen)? Nein, ich stelle fest, dass mich das nicht erschüttern kann. Befremdlich finde ich lediglich die Sensationslust unserer Sitznachbarn, die offensichtlich darüber enttäuscht waren, dass der vermeintliche Neo-Nazi nicht aus dem Saal geprügelt worden ist. Goldenes Wienerherz? Dass ich nicht lache…
drewshine - 19. Apr, 20:52